Zinsfreie REGIO- Komplementärkredite

Es hängt viel davon ab, ob unsere Gesellschaft die Kraft aufbringt, nicht nur über Zinsen zu klagen, sondern zinslose Kredite zu organisieren. Regiogeld-Initiativen geben die ersten zinsfreien Mikro-Kredite in Regiogeld heraus: Komplementärkredite.

Das mit dem Nobelpreis gekrönte Projekt „Mikrokredite“ von Mohammed Yunus bedeutet, bis zu 25 % Zinsen von den Ärmsten der Armen zu nehmen. Dies mag in vielen Fällen geholfen haben; in Indien haben Mikrokredite, die nicht zurückgezahlt werden konnten, aber auch schon zu Selbstmorden geführt. Es gibt kluge Begründungen dafür, warum Mikrokredite angeblich so viel kosten müssen, das Gefühl und der gesunde Menschenverstand sträuben sich jedoch dagegen. Dabei wäre kaum eine gesellschaftliche Dienstleistung wichtiger als zinslose Kredite, und bei keiner versagt das Wirtschaftssystem so vollständig.

von Roland Rottenfußer

Ein nahe liegender Grund dafür: Niemand will solche Kredite vergeben oder organisieren. Man befürchtet, drauf zu zahlen, wenn Verwaltungsaufwand und Inflation zu eigenen Lasten gehen. Dabei müssten sich ethisch orientierte Kreditgeber nicht auf dem Altar der Nächstenliebe opfern. Sie müssten nur ihre Gier drosseln und freiwillig auf ein paar marktgängige Vorteile verzichten. Entscheidend ist dabei, dass man die Struktur des Zinses durchschaut und genau definiert, was mit „zinslos“ gemeint ist.

Was bedeutet „zinslos“? Kreditzinsen setzen sich aus verschiedenen Komponenten zusammen: Die so genannte Bankenmarge umfasst tatsächliche Kosten der Bank, z.B. Raum-, Personal-, Verwaltungskosten, einen Risikozuschlag sowie den Gewinn der Banken vor Steuern. Dazu kommt der Inflationsausgleich, der Sparer vor Wertverlust schützt. Der Knappheitsaufschlag wird verlangt, sofern die Nachfrage nach Kapital größer ist als das Angebot. Schließlich gibt es den Grundzins, nach Keynes eine „Prämie auf Liquiditätsverzicht“. Die Formulierung ist recht freundlich. Ich definiere Grundzins und Knappheitsaufschlag als illegitime Zusatzgebühren, die von Kreditnehmern erpresst werden, weil diese auf anderem Weg nicht zu Geld kommen können. (Das Gesetz fühlt sich diesbezüglich vor allem dem Schutz der Erpresser vor den Erpressten verpflichtet). Diese beiden Faktoren könnten bei ethischen Formen der Kreditvergabe komplett entfallen. Fraglich ist auch, ob eine Bank über die Deckung ihrer notwendigen Kosten hinaus Gewinn machen muss. Ein Inflationsausgleich scheint zunächst unvermeidlich, kann jedoch bei geringer Inflation und kürzeren Kreditlaufzeiten gegen Null gehen. Regiogeld- Experten gehen davon aus, dass bei flächendeckendem Einsatz von „Schwundgeld“ Inflation und Deflation auf natürliche Weise gar nicht mehr entstehen.

Bleibt als legitimer Zinsanteil vor allem der Anteil der Bankenmarge, der nötig ist, damit Menschen, die sich im Komplementärkreditgeschäft engagieren, nicht umsonst arbeiten müssen. Ein praktikabler Kompromiss bestünde in 1 bis 2 Prozent Bearbeitungsgebühr, die lt. Helmut Creutz ausreichen. Oder eine einmalige Pauschale bei Abschluss des Kreditvertrags, der die Kosten des Vermittlers deckt. Sehr wichtig ist als Ergänzung der völlige Verzicht auf Zinseszins. Denn in ihm liegt der eigentlich „Krebs der Volkswirtschaft“.
Auch völlig zinslose Kredite sind natürlich möglich und prinzipiell wünschenswert. Sie können aber (wenn nicht ehrenamtliche Arbeit, also Selbstausbeutung herangezogen wird) nur vergeben werden, wenn eine Mischfinanzierung vorliegt. Die Genossenschaft Regios eG im Chiemgau, vergibt sowohl Euro-Kredite mit 7,5 Prozent Zinsen als auch zinslose Kredite – letztere allerdings nur in Regionalgeld. Die Verwaltungs- und Personalkosten der Genossenschaft werden im Moment über das Mikro-Kredit-Programm der Regierung über eine Gebühr finanziert.

Die Vorteile für das „Große Ganze“ liegen auf der Hand: Die Regiogeld-Bewegung insgesamt wird gestärkt, weil mehr Regiogeld in Umlauf kommen. Auch kann eine ethisch ausgerichtete Kreditverwaltung darauf achten, dass kein Geld an fragwürdige Projekte fließt (etwa ein Waffengeschäft) und dass bevorzugt Existenzgründer in gemeinnützigen, lebensfreundlichen und nachhaltigen Sparten unterstützt werden. Paradebeispiel: Der Bioladen mit regionalen und Fairpreis-Produkten.

Mit Blick auf die Zukunft: Was wäre nun, wenn „jeder“ plötzlich zinslose Kredite erhalten würde? Die Antwort ist: Wir hätten ein starkes Gegenmodell zum herkömmlichen ausbeuterischen Kreditsystem geschaffen. Wenn sich neben dem zinsgestützten Kreditsystem ein komplementäres System etabliert, das zinslose Kredite vergibt, so hätte dies eine Wanderbewegung weg vom alten hin zum neuen System zur Folge. Auf Kreditgeber, die „noch“ Zinsen verlangen, entstünde ein Druck, diese drastisch zu senken.

Wollen wir die Allgegenwart des Zinssystems antasten, müssen wir funktionierende Pilotprojekte des Neuen schaffen. Sie dienen als Vor- und Gegenbilder sowie als belebende Konkurrenz, die den Verbrauchern erstmals eine wirkliche Wahl lassen: die Wahl zwischen einem erpressten Wucherzins und einer fairen Bearbeitungsgebühr für Kreditvermittler. Wie würden Sie wählen?