Pia Mayer-Gampe, Autorin aus Seehausen

Frau Mayer-Gampe, Sie haben während Ihres Aufenthalts im Königreich Bhutan konkrete Erfahrungen mit „Schwundgeld“ gemacht?

Während in Diskussionen um das Schwundgeld von den Befürwortern meist nur historische Beispiele ins Feld geführt werden, bin ich selbst mit meiner Familie einmal in eine Situation gekommen, in der wir Geld nicht horten konnten. Ich habe dieses Schwundgeld in Aktion erlebt. Sein Effekt war erstaunlich:
Während eines zweijährigen Aufenthalts in Bhutan wurde ein großer Teil des Gehalts für ausländische Konsulenten in der Landeswährung Ngultrum ausbezahlt. Diese Währung war noch weicher als die Rupie und verlor nach Ablauf des Arbeitsvertrags und beim Verlassen des Landes jeden Wert.

Da Ausländer in Bhutan Grund und Boden nicht erwerben, sondern nur pachten konnten, waren Konsulenten und ihre Familien damit praktisch in eine freiwirtschaftliche Situation gekommen.
Natürlich versuchten sie, dieses Geld nach Kräften auszugeben. Man suchte und erwarb dauerhafte, kostbare Sachwerte wie Webarbeiten, Schnitzereien etc. Es bestand eine völlig unbefriedigte Nachfrage nach Handwerkern. Da vielen Eltern der alt-britisch beeinflusste Drill an bhutanischen Vorschulen nicht gefiel, entstand ein freier Kindergarten. Eine Lehrerin bildete eine Bhutanerin aus, und die von den Ausländern bezuschussten Plätze für bhutanische Kinder waren bald der Renner in der einheimischen Oberschicht. Soweit ich weiß, besteht der Kindergarten noch heute und ist damit ganz ohne offizielle „Entwicklungshilfe“ ein erfolgreicher gesellschaftlicher Impuls geworden.
Ich bin ein ganz gewöhnlich habgieriger Mensch. Aber in dieser Situation war es einfach logisch, Kindergartenplätze zu bezuschussen und Nachbarn in Notsituationen unter die Arme zu greifen. Diese Ausgaben waren keineswegs von dem gewichtigen Bewusstsein eigener Tugendhaftigkeit getragen. Und ich hätte auch mit Schwundgeld die Freiheit gehabt, gierige Dummheiten zu begehen. Aber es war schlicht vernünftig, Geld, das ohnehin an einem Stichtag seinen Wert verlieren wird, in die Stabilität der gesellschaftlichen Situation zu investieren.
Geld verlor seinen Nimbus. Es hatte keine Macht mehr über die Zukunft. Es war rein gegenwärtiges Mittel zum Zweck. Die Zukunft war damit von der Frage eines virtuellen Kontostandes wieder zu einer Frage der sozialen und ökologischen Zustände geworden. Die Realität war rehabilitiert.
Dieser Abschnitt ist dem Buch von Pia Mayer-Gampe „Das goldene Ei“ entnommen, einem anspruchsvollen Werk über Märchendeutung, Ökonomie und Ökologie, das im Oktober 2010 im Riemann-Verlag erscheint.